Medellin – Sprachschule, neue Freundschaften & kleine Geschichtsstunde
- Nadine
- 7. Nov. 2019
- 5 Min. Lesezeit
Wie bereits beschrieben, haben wir ein Hammer-Apartment mit Mega-Aussicht über die Stadt und die umliegenden Berge. Das Wochenende verbringen wir relativ entspannt mit Wäsche-Waschen (endlich eine Wasch-Maschine, die sogar noch kalt, mittel oder heiss waschen kann!!!) und kleineren Ausflügen.
Eigentlich wollten wir gerne in den Parque Arvi, ein Naherholungsgebiet in einem der angrenzenden Berge, das über eine Sesselbahn zugänglich ist. Hier wird uns erklärt, dass wir für unsere Hunde eine Tasche und die Original-Impfausweise brauchen, ausserdem sei es nur an bestimmten Tagen möglich, mit Hunden den Park zu besuchen. Etwas verwirrend aber ok, wir werden am Mittwoch nochmals kommen. Wir versuchen es stattdessen im botanischen Garten, wo jedoch ebenfalls keine Hunde erlaubt sind. Immerhin sehen wir ein bisschen etwas von der Stadt und besuchen einen kleinen Markt. Am Sonntag klappt es dann mit dem botanischen Garten, die Hunde bleiben in der Zeit im Apartment. Hier tummeln sich Leguane, Schildkröten, farbige Vögel und Enten mit Bad-Hair-Day und alle verstehen sie sich perfekt!
Am nächsten Tag beginnt unser Unterricht. Die Sprachschule im nahegelegenen Hostel haben wir bereits einige Tage vorab, auf einen Tipp vom Konstanzer-Kollegen in Minca hin, gebucht und tatsächlich treffen wir uns hier im Hostel wieder! Wir lernen jeden Tag neue Leute aus aller Welt kennen und mit einigen von ihnen unternehmen wir auch gelegentlich Ausflüge, wobei es sich mit der Stadtentdeckung in Grenzen hält, zu müde sind wir jeweils vom anstrengenden Unterricht. Unsere Spanisch-Lehrerin ist der Hammer und nebst den Gehirn-zermürbenden Grammatik-Regeln sitzen wir auch oft im Café gegenüber der Schule und spielen «Wer-bin-ich» oder Scrabble auf Spanisch. Verpflegt werden wir hier ebenfalls zweimal am Tag, zum Frühstück und zum Mittagessen.
Unser Bus hat mittlerweilen einen Service nötig und nach einigen Fehlversuchen, bei denen wir unter anderem in einem unfassbar chaotischen Werkstatt-Viertel landen, wo uns junge Männer scharenweise nachrennen und zuwinken, wo wir parkieren sollen, finden wir tatsächlich eine Werkstatt, die die gewünschte Leistung anbietet. Der Service dauert gerade mal zwei Stunden, in dieser Zeit können wir bei einem Kaffee ein entspanntes Pläuschchen mit einem deutschen Auswanderer halten, denn er hat natürlich sofort gemerkt, dass wir nicht von hier sind. Natürlich wollen im Anschluss an den Service noch alle, d.h. die gesamte Werkstatt-Besatzung, unseren Bus begutachten und bereitwillig zeigen und erklären wir ihnen alles. Sie sind begeistert und wir freuen uns über das Interesse, so einen Bus haben sie hier noch nie gesehen und wenn sie fragen, woher der Bus ist, fallen den Kolumbianern regelmässig die Kinnladen runter wenn wir erklären, dass Hektor mit dem Schiff von Europa hierhegekommen ist.

Am Mittwochnachmittag lassen uns die Leute vom Metro Cable dann (nach einigen Diskussionen) tatsächlich mit unseren Hunden in den Parque Arvi. Von hier aus besuchen wir das kleine Naherholungsgebiet. Viel Zeit bleibt uns nicht, um 5:30 geht bereits die letzte Fahrt nach unten. Zurück nehmen wir uns ein Uber, die Fahrt dauert über eine Stunde, denn es ist Hauptverkehrszeit in Medellin. Als es bereits dunkel wird und in Strömen regnet holpert unser junger Uber-Fahrer versehentlich über ein riesiges Schlagloch und knapp eine Minute später merken wir, etwas ist gar nicht mehr gut mit seinem Auto… Natürlich hat er einen Platten und wir würden ihm gerne helfen das Ersatzrad zu montieren, wenn dieses nicht auch platt wäre. Glücklicherweise sind wir nur noch 500 Meter von unserer Unterkunft entfernt und wir gehen den restlichen Weg zu Fuss, während der nette Uber-Fahrer auf seinen Kollegen wartet…
Medellin ist eine gigantische Stadt mit vielen leckeren Restis, günstigem Lieferservice und ausnahmslos netten Menschen. Das Klima hier ist einfach ein Traum, nicht umsonst wird Medellin auch die Stadt des ewigen Frühlings genannt. Während die Innenstadt vor Leben und kleinen Geschäften übersprudelt ist in den Randgebieten auch die andere Seite Kolumbiens zu finden. Viele junge Familien venezuelanischer Herkunft versuchen hier mit dem Verkauf von Bonbons und Kartonschildern genug Geld zu verdienen um ihre Weiterreise nach Ecuador zu finanzieren. Den ganzen Tag stehen sie an den Kreuzungen, sie haben weder Gepäck noch gute Kleidung und die Verzweiflung ist förmlich zu spüren. Wir sehen sie, sich im Fluss baden und unter Brücken schlafen, auf nichts ausser ein paar Blachen und Kartonschachteln, teilweise mit Babys und Kleinkindern. Der Anblick ist nur schwer zu ertragen und wir stellen im Gespräch mit den Einheimischen fest, dass Maduro, der venezuelanische «Präsident» auch in Kolumbien sehr unbeliebt ist. Jeden Tag schätzen wir uns glücklich, nicht in so einer grässlichen Situation zu sein und für uns ist es kaum vorstellbar, wie es wohl sein muss, nicht zu wissen ob man sich heute etwas zu Essen leisten kann oder wie es weitergeht.
Bei unserem Ausflug in den Parque Arvi habe ich mir wohl eine Grippe eingefangen, auch andere Leute im Hostel sind verschnupft und ich nehme mir den Donnerstag Zeit um mich auszukurieren. Am Freitag besuche ich morgens die Schule und am Nachmittag kuriere ich mich nochmals aus. Am Abend treffen wir uns mit einigen Leuten des Hostels für einen gemütlichen Abend im Ausgangsviertel, wo wir feine Tortillas verschlingen, ein paar Bierli trinken und einen argentinischen Strassenmusiker, der bereits seit drei Jahren durch Südamerika reist, kennenlernen.
Da am Samstag Wahltag ist, kann man am Samstagabend nicht ausgehen, denn sie verkaufen ab 18:00 keinen Alkohol mehr. Der Grund ist, dass die Leute am Wahltag nüchtern sein sollen. Wir überlegen uns, wieviele Proteste dies wohl in der Schweiz zufolge hätte, denn wir stimmen ja etwas öfters ab als die Kolumbianer. Wir erfahren dass, obwohl Medellin sehr fortschrittlich wirkt, auch hier viele Politiker der Korruption erlegen sind. Allgemein ist dies sowie die organisierte Kriminalität in Kolumbien eines der grössten gesellschaftlichen Probleme. Leute aus dem Hostel, die die Woche zuvor in Bogota waren, erzählen uns von friedlichen Protesten von Schülern und Studenten, das Schulgelder in Bogota veruntreut wurden. Die Polizei ging dort mit Tränengas gegen die friedlichen Demonstranten vor und auch sie hätten die ganze Nacht die Folgen des Tränengaseinsatzes in ihrem Hostel gespürt. Am nächsten Tag um 6:00 morgens sei das Chaos bereits weggeputzt gewesen, als wäre nie etwas passiert und die Zeitungen haben natürlich nicht darüber berichtet, denn auch diese werden von der Regierung geschmiert. Unvorstellbar. Vor einigen Jahren sollte in Bogota übrigens eine Metro gebaut werden. Es wurden 20 Millionen Dollar für diesen Zweck vorgesehen. Eine Metro gibt es da bis heute nicht, dafür ein paar sehr reiche Politiker. Dies ist die Kehrseite des wunderschönen und gastfreundlichen Kolumbiens. Übrigens ist «Politiker» einer der gefährlichsten Berufe in diesem Land, denn sind sie unbestechlich und propagieren dies auch noch öffentlich dann sind sie mit Sicherheit Ziel von Attentaten. Umso erstaunlicher, dass dieses Jahr die erste Frau zur Bürgermeisterin Bogotas erwählt wurde, die sich selbst im Wahlverfahren als «unkorrupierbar» angeworben hat! Gratulation Kolumbien, ein Schritt in die richtige Richtung!
Am Sonntag unternehmen wir unseren letzten Ausflug, mit Chris, dem Leiter des Hostels machen wir uns auf nach Comuna 13, heute bekannt als das Künstlerviertel von Medellin, wo Strassenmusiker und Graffiti-Künstler ihrem Handwerk nachgehen. Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt haben sich noch nicht einmal Polizisten in dieses Viertel getraut, in dem organisierte Kriminalität und Drogenhandel florierten. Damals war Medellin noch mit Abstand die tödlichste Stadt der Welt mit ca. 10'000 Morden pro Jahr! 2002 hat ein Medelliner-Politiker dann entschieden, gegen die Kriminalität dort vorzugehen. Statt mit Justiz jedoch mit Massengenozid. Ein drei-tägiger Einsatz des Militärs und der Polizei, bei dem hunderte Männer, Frauen und Kinder getötet wurden führte schliesslich dazu, dass die Frauen mit weissen Flaggen aus den Häusern traten und sich ergaben. Bis heute beträgt der Frauentanteil in dem Viertel 75%, denn das Ziel des 3-tägigen Krieges waren hauptsächlich Männer, die damals alle samt als kriminell galten. Und der Politiker? Wurde anschliessend zum Präsident des Landes gewählt. Das gibt es auch nur in Kolumbien. Comuna 13 jedoch hat sich komplett verwandelt und statt Gewalt produzieren die Leute hier nun Kunst.
Morgen brechen wir auf nach Guatapé und zurück in die Natur, die wir schon sehr vermissen. Medellin war eine unglaubliche Erfahrung und wir haben viele neue Leute kennengelernt, mit denen wir auch noch weiter Erfahrungen austauschen werden und wer weiss, vielleicht sieht man sich ja mal wieder!
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